Schnittstelle Berlin Mitte
BERLIN / 1996
Die aktuelle Stadtplanung und Architektur in Berlin inspiriert sich kaum an den Fortschritten der Gegenwart. Im Übergang zum 21. Jahrhundert, während des Wandels zur Informations-gesellschaft, wird für die Rekon-struktion der Berliner Mitte wieder das Leitbild der Blockbebauung auf der Basis des neunzehnten Jahr-hunderts favorisiert. Die steinerne Architektur steht auch heute noch im Vordergrund des Berliner Bau-geschehens.
Einen konträren Ansatz bietet die Diplomarbeit von Thomas Kraft.
Besonders in Bezug zur gegen-wärtigen Debatte um den Wieder-aufbau des Schlosses ist der Vorschlag für die Umgestaltung des Palastes der Republik eine zukunftsorientierte Alternative, die dem für Berlin so bedeutenden Stadtraum von der Spreeinsel bis zum Fernsehturm einen neuen architektonischen Rahmen gibt. Thema des Projektes ist die unser heutiges Dasein prägende Vir-tualität der Informations-technologien und ihre Umsetzung in architektronische Formen. Doch wie kann man heute, in einer digitalen Informationsgesellschaft auf die Berliner Mitte archi-tektonisch und inhaltlich eingehen? Der neue Palast der Republik soll wieder zu einem Treffpunkt werden, der nicht nur aktuelle Trends in Kultur, Wissen-schaft und Wirtschaft präsentiert, sondern auch neue Bezüge zwischen Gesellschaft und Medienraum herstellt. Zugleich wird das städtebauliche Umfeld und die Geschichte des Ortes mit in den Entwurf einbezogen. Der Standort ist Schnittstelle verschiedener Systeme. Einerseits treffen die kleinteiligen Strukturen des bürgerlichen Cölln auf die Großstrukturen des herr-schaftlichen Zentrums um das Schloß, andererseits trifft Ost auf West. Die Spreeinsel war immer eine Art Passage, ein Kreuzungs-punkt. Hier rief Karl Liebknecht im November 1918 die sozial-sozialistische Republik aus. Der Palast der Republik ist Dokument der Geschichte des Sozialismus der ehemaligen DDR. Er war seit seiner Erbauung Anfang der 70er Jahre stets kultureller Treffpunkt. Allerdings hat das Areal rund um den Schloßplatz an Bedeutung verloren. Diese soll nun wieder-hergestellt werden . Aufgrund seiner Vergangenheit für Berlin sollte der „Palazzo Prozzo“, wie ihn DDR Bürger früher nannten, er-halten bleiben. Die anstehende Renovierung und Asbestsanierung, für die der ganze Bau, bis auf das Stahlträger-Skelett ausgeschält werden müßte, könnte den Palast wieder funktionsfähig machen und technisch auf den neuesten Stand bringen.
Der Entwurf bezieht auch das äußere Erscheinungsbild des Palastes mit in die Veränderungen ein, erweitert die Nutzungs-möglichkeiten und bringt die sich überlagernden städtebaulichen wie auch historischen Systeme des Ortes zum Ausdruck. Die funktions- und konstruktions-bedingte Zweiteiligkeit der Gesamt-komposition des Gebäudes bietet an, die städtebauliche Schnittstelle auch im Gebäude deutlich zu machen. Der Palast wird in zwei Teile geteilt, indem die Foyers entfernt werden. In den ent-standenen Zwischenraum werden die neuen Gebäudeteile implantiert, so daß die beiden Palasthälften wieder miteinander verknüpft sind.
Der neue architektonische und städtebauliche Eingriff besteht aus drei zusammenhängenden Be-reichen. Ein „Kubus“ als dominantes Verbindungsglied vernetzt alle Bereiche, ein-schließlich der beiden Palasthälften miteinander. Zur Erschließung des Kubus dient eine „Rampe“, die eine städtebauliche Verlängerung der Prachtstraße „Unter den Linden“ darstellt und zugleich in Bezug zum Roten Rathaus steht. Ein „Werkstattkanal“ hingegen schafft eine Verbindung vom Alexander-platz zur Werderschen Kirche.
Als das gestalterisch wie auch in-haltlich alles verbindende Element steht der Kubus im Mittelpunkt. Er ist eine Art öffentliches Denkwerk, ein Forum für jedermann. Der Nutzer hat hier Zugriff auf alle Mediengattungen. Im inneren Kern des Kubus befindet sich ein Groß-raum, in dem riesige Screens über aktuelle Themen informieren.. Sämtliche Mittel der Tele-kommunikation, eine elektronische Bibliothek sowie ein Sendestudio werden angeboten. Der öffentliche Raum wird mit dem immateriellen Medienraum vernetzt.
Der Werkstattkanal beherbergt den Bereich „ Forschung und Entwicklung“, der sich je nach Be-darf bis zum Fernsehturm er-weitern läßt. Für Künstler und Wissenschaftler soll hier Medien-technologie bereitstehen. Zwei öffentlich begehbare Ebenen bilden die Rampe, auf der sich das Ausstellungssystem für Neue Medien befindet. In diesem werden die Geschichte der Medien, die Vielfalt der einzelnen Medien-gattungen sowie die Ergebnisse der künstlerisch-wissenschaft-lichen Arbeit aus dem Werkstatt-kanal dargestellt.
Das Gebäude übernimmt die Funktion eines „Servers“ und veranschaulicht die Immaterialität der Medien und Informationen.
Quelle: db 11/98 Titel: „Lagern“
deutsche bauzeitung